Vor 12 000 Jahren
Die Magierin
Kalt ist es heute. Wieder haben die Jäger*innen das Lager verlassen um dem Ren zu folgen. Es hatte wieder großen Ärger im Lager gegeben, weil Arrad so viel Zeit damit verbracht hatte Pfeile zu schnitzen anstatt Ele und Wiebe beim Fellschaben zu helfen. Dabei waren etliche Pfeile bei seinen Schießübungen im Schlamm des auftauenden Seees gelandet, vermuteten die Mädchen.
Auch die Körbe des letzten Jahres hätten ausgebessert werden müssen. Die Mäuse hatten wieder ganze Arbeit
geleistet und große Löcher hineingenagt. Wiebe hatte sich den ganzen Winter über mit neuen Knotentechniken beschäftigt um sie stabiler und gleichzeitig geschmeidiger zu
flechten. Der Körnervorrat war auch fast verzehrt.
Nun waren alle drei mit den Bogen unterwegs. Grossmaa-amaa hatte wieder geträumt. Sie war die Älteste der ganzen Menschengruppe, bestimmt schon 44 Winter, also uralt und ihr
drittes Urenkelchen tappste schon durch das Dorf. Die Kleine Herde war unterwegs, hatte sie geträumt. Eigentlich, so vermutete Ele, hatte Grossmaa-amaa sie im Traum herbeigerufen. Sie alle
brauchten dringend wieder Fleisch und das große GeisterRen war dem Stamm gutgesinnt. Sieben mal zehn Hände groß war die Kleine Herde. Jedes Jahr wartete
der Stamm am Ende des Winters auf sie. Da musste doch ein Tier zu schießen sein.
Hungrig sah Arrad zu den beiden Mädchen. Die lagen nebeinander, kaum zu bemerken, in ihren Fellen in der Böschung des Tunneltales. Vielleicht würden sie ihn ja nach
erfolgreicher Jagd in der Freude bei sich liegen lassen. Wiebe mit ihren zwei Geburten war immer noch eine hübsche Frau, obwohl sie schon sechzehn Winter erlebt hatte.
Und Ele, die mit der Flamme tanzt, war geschickt. Erst letzten Sommer war ihr etwas Brei am Feuer verbrannt, sie hatte noch ein wenig davon retten können und mit ihm geteilt. Es hatte köstlich geschmeckt und seitdem probierte sie immer weiter, wie sie Brei verbrennen könnte, ohne ihn zu sehr zu schwärzen. „Flat,flat“, machte es, wenn sie den Teig auf einem Stein platt klatschte. Im Spaß hatte Arrad den verbrannten Brei Flat genannt.
Da waren die Tiere! Die drei Jäger*innen hatten sich mit Stinkblättermatsch vom letzten Jahr eingerieben, damit die scheuen Tiere sie nicht wittern konnten. Schritt für Schritt zögerlich, nach allen Seiten sichernd betraten die ersten das Tal. Hungrig schoben sich die Nächsten hinterher. An den ersten schneefreien Stellen neigten sich gehörnte Köpfe zum Grasen.
Vor 1000 Jahren
Der Pupself
In der Ahrensburg lebte einst eine Prinzessin. Sie hatte feine Haare, die im Mondlicht silbern glänzten.
Oft saß sie am Turmfenster der Ahrensburg und strählte ihr Haar. Dabei fielen manchmal lange Haare aus ihrem dichten Schopf, die sie alle vorsichtig aufsammelte, zu feinen Fäden
versponn mit denen sie purpurne Tücher bestickte. Sie stickte die Blumen Liebesgesichtli (Wildes Stiefmütterchen) und
Sandrapunzel (Bergsandglöckchen) aus den Silberfäden ihres Haares in die Tücher ein. Nur wenige Augen hatten diese Tücher zu sehen bekommen.
Die Prinzessin fand sich wunderschön.
Sie war gut zu ihren Haaren und hochmütig gegenüber den Menschen.
Sie schlug die Dienstmagd, kommandierte die Zofe und den Knecht lachte sie aus. Einmal kam eine alte Frau an das Burgtor und bat um etwas zu essen. Die Prinzessin saß gerade
stickend am Fenster.
„Verschwinde, Alte, sonst hetzen wir die Hunde auf Dich!“
„Nur ein Stück Brot, ich bitte!“
„Nichts bekommst Du! Mir aus den Augen, ich kann Deinen Anblick nicht ertragen!“ Die Alte drehte sich grummelnd um und wollte den Burghof verlassen, als sich ihr ein lauter Wind
entrang.
Da lachte die schöne Prinzessin so, dass sie fast aus dem Fenster gefallen wäre. Die alte Frau drehte sich noch einmal zu ihr um. Glühten ihre Augen?
„Du sollst deine Menschengestalt verlieren und zu einem Pupself werden! In 1000 Jahren, wenn die riesigen Eisendrachen sich durch unser Tal schlängeln, wird vieler Zauber
enden!“
Damit drehte sich die Alte um und verschwand wieder im Wald. Es war die Hexe Grossmaa-amaa und kein Lebender wusste, dass sie 11 000 Jahre alt war.
Die Prinzessin der Ahrensburg schrumpfte zu einem kleinen Männchen zusammen, das sprang pupsend aus dem Fenster der Burg und verhuschte in den Wald.
Viele hundert Jahre lang wandelte Bläh, der Pupself durch das Tunneltal. Frech, meist verborgen, mit einer rötlichen Kapuze, selten sichtbar aber oft zu riechen. Wenn ein paar Räuber ein Fräulein überfallen wollten, dann war Bläh zur Stelle, ließ so furchtbare Furze los, dass die Räuber eine Ohnmacht überkam und das Fräulein sich den Griffen der Bösen entwinden konnte.
Auch manchem Pfaffen, auf dem Weg zu seinem Sprengel, spielte Bläh übel mit. Da blies er Winde, die den Priester von der Landstraße in den Graben wehten und wenn der nass und abgekämpft wieder in seine Kirche kam, konnte er erzählen, dass es kein Weihrauch war, den er im Tunneltal gerochen hatte.
Viel Schabernack trieb Bläh auch mit den Eichhörnchen, denen er die Haselnüsse wieder und wieder aus den Verstecken klaubte und mit denen er um die Wette kletterte. Aber fangen konnte man den Elfen nie.
Vor 100 Jahren bis heute
Das Haareis
Vielleicht hast Du gehofft, dass Bläh sich ändert?
Nichts da. Menschen und Elfen lernen langsam.
Gieriger und immer unverschämter wurde der Elf.
Verführte Wandernde, tauschte Babies aus, saugte Milch aus fremden Eutern und stahl Quitten. Er wurde in seiner Gier fast wieder ein Mensch!
Und von denen gab es immer mehr am Tunneltal. Die alten Wege wurden zu Straßen. Die Räuber suchten weniger gefährliche Arbeiten und ließen sich große Villen um das Tunneltal bauen, die Fuhrwerke der Leute wurden immer größer, stärker, lauter und stinkender. Und Pferde brauchte es zum Fahren auch nicht mehr.
Eines Tages erwachte Grossmaa-amaa, die Uralte abermals, schaute sich um und erkannte ihr altes Tal kaum noch. Gewaltige Eisendrachen schoben sich jede halbe Stunde durch das Tal, der Lärm mächtiger Maschinen bedröhnte ihre 12 000 Jahre alten Ohren und ein Gestank, der sie an Bläh, den Pupself erinnerte, quälte ihre Nase. Sie war alt, sie passte längst nicht mehr in diese Zeit, das Einzige, was ihr einfiel war:
Bläh, der Elf ist schuld.
Ohne groß nachzudenken verwandelte sie den Elf in einen Pilz.
„Du sollst in jedem Ast wohnen, der auch ein Pfeil Arrads hätte werden können!“
Der Elf zersplitterte in tausend Pilzstückchen.
Bläh wohnt heute noch im Tunneltal in abertausend Ästen und stösst Winde aus, die die Feuchte aus dem Holz
treiben
und wenn es kalt ist, kann man manchmal sehen,
wie die Feuchte zu Haareis wird,
silbrig, wie einst das feine Haar der Prinzessin aus Ahrensburg.
Die zauberischen Fotos des Haareises schuf Michael Kukulenz. Vielen Dank dafür, dass ich sie hier verwenden darf.
Fotoausstellung „Ahrensburger Tunneltal“
Foto-Ausstellung von Michael Kukulenz;
Tunneltal-Kalender
Ein wundervoller FotoKalender von Michael Kukulenz mit eindrucksvollen Fotos des Tunneltales kann für 20,- € zzgl. Versandkosten unter kontakt@tunneltal.de bestellt werden. Nach Vereinbarung, kann der Kalender auch in der Stadtbücherei Ahrensburg abgeholt werden.
Unter www.tunneltal.de finden Sie viele weitere interessante Informationen zu diesem besonderen Ort.