Von Geschichten, die erzählt werden wollen
Auszug aus einer Rezension von Bettina Schack in der NRZ
zu unserem Streaming:
Der Geschichtenerzähler, der keine Geschichen mehr wusste
Mit freundlicher Erlaubnis von Frau Schack
Tom zupft die Saiten seiner Harfe. Der Klang verzaubert. Die Schöne auf dem weißen Pferd im Wald ebenso wie die Menschen weit weg zu anderen Zeiten an einem anderen Ort. Oder ist es gar nicht
Tom, sondern Jörn-Uwe, der uns nur erzählt, sein Harfenspiel wäre das von Tom? Uns, die wir ihn zu anderen Zeiten an einem anderen Ort hören, sehen und uns von seinen Worten und seiner Musik
verzaubern lassen? Was ist Märchen, was Illusion? Welche ist die Geschichte, deren Teil wir sind, wie ist sie mit den vielen anderen verknüpft, die in ihr aus- und fortgesponnen werden und in
denen sich wieder eigene Welten voller wundersamen Leben entwickeln?
Ein Märchen? Die große, 70-minütige Erzählung ist ein Märchen im Märchen im Märchen. „Verschlungen wie ein keltischer Knoten“, so Wulf. Und immer tiefer führt dieser Weg in die keltische
Anderswelt. Oder konkreter: Ins magische Reich der Phantasie. Aus ihm stand (stammt, juw) der geheimnisvolle Spieler, Gaukler, Magier, der einen an sich erfolgreichen Geschichtenerzähler, den
eines Morgens eine Art Erzählblockade ereilt, an sich bindet und ihm scheinbar alles nimmt, um ihm tatsächlich viel mehr zu geben. Doch bevor sich die Nebel lichten, führt Wulf sein Publikum an
den Endgeräten von einer Erzählebene in die nächst tiefere. Unheimlich ist es dort zum Teil: Wer erschauert nicht vor der Königin der Planeten, die mit ihren Taten den Menschen ihre Schicksale in
die Wiege legt? Oder vor den anderen geheimnisvollen Gestalten, die scheinbar Herren über Leben und Tod sind? Und doch sind die Welten, die sie öffnen, verlockend. So auch für jenen Tom, dem
schottischen Spielmann, der kunstvoll wie ein Jörn-Uwe Wulf auf seiner Harfe spielt, von der Feenkönigin auf deren eigene rätselhafte Weise geliebt wird und von ihr die wahrlich wundersame Gabe
erhält, die Wahrheit zu sagen und dafür von den Menschen geschätzt und geachtet wird. In Reimen spricht er das aus, was wahr sein wird.
Und Jörn-Uwe Wul kehrt zurück in die oberste Erzählebene, reimt im Hier und Jetzt: „Corona, das bleibt glimpflich - kommt denn bald die Impfpflicht.“ Denn darum geht es ja im Kern aller Märchen.
Sie erzählen von dem, was die Menschen gerne an Weisheit und Wahrheit aus ihrem Inneren heraus mitteilen möchten. Und ist dieser Weg blockiert wie bei Wulfs Geschichtenerzähler oder Paddy, der
als Langweiler galt, weil er nie etwas abends am Lagerfeuer erzählen konnte, so kann einen nur die Phantasie selbst auf die Sprünge helfen.
Denn all die magischen Geschöpfe leben ja nur dadurch, dass weise Menschen ihre Botschaften in phantastische Erzählungen kleiden, um so besser gehört zu werden und gleich dem Harfenspiel die
entsprechenden Saiten der Seelen ihrer Hörer zum Widerhallen bringen.