Ich habe in den letzten Monaten immer mal Momente, in denen ich mit Zorn und Zynismus auf Zustände, Gegebenheiten und Sachverhalte reagiere. Meine Lieblingskrapfen sind aus, das Fahrrad ist schon
wieder kaputt, der Verfassungsschutz, die Geburtstagsfeiern mit zehn verschiedenen Haushalten, der Service für den Gartenhäcksler ist kein Service, noch mehr Aufträge gehen dahin.
Diese Unruhe gefällt mir nicht und ich schiebe es auf die Pandemiesituation, mein Gefühl scheinbarer Irrelevanz und Zukunftssorgen, zu wenig Bewegung und zu viel Essen.
Aber alle diese Gründe zerbröseln, wenn ich sie genauer betrachte.
Auch in meinem Umfeld halten Menschen den Atem an. Man bemüht sich um Höflichkeit, schaut sich aber um, wen man hauen kann oder auf wen man schimpfen könnte.
Jens Spahn vielleicht, Scheuer geht eigentlich immer, Trump ist gerade nicht mehr so oft dabei.
Seltsam.
Im Spätsommer vor Corona erwischte ich mich schon einmal. Kam aus dem Ahrensburger Bahnhof raus, eine Verbindung mit ordentlicher Verspätung, Bus war gerade weg und die Autos auf den Straßen
brüllten laut, zu groß, zu straßenbeherrschend, und die Farben dieser Kisten waren individuell gehalten wie fast überall - schwarz - weiß - silbermetallic.
Langweiiilllig! Äätzend! Widerwärtig.
Ich ertappte mich dabei, längere negative Gedankenschlieren zuzulassen.
Auch langweilig.
Machte sich eine Idee breit: Wie wäre es, wenn alle nur noch Hybrid fahren würden, aber das wahre Hybrid, malte ich mir aus, eine Fahrzeugmischung aus Fahrrad und Elektro und mit Dach und zwei
Sitzen.
Für Uneingeweihte: Diese Fahrzeuge werden seit Jahren auf Automessen als kuriose Prototypen herumgezeigt und die Modelle wären innerhalb weniger Monate in größeren Serien und wohl für unter 8000
Euro zu kaufen, zumal wenn der Verkehrsminister (Ha! Der schon wieder!) sie deutlich höher subventionieren würde als Elektroautos, vielleicht mit 50 % und dann ein Autoverbot in der Innenstadt
erlassen würde, wenn nicht -
Oh, Ihr Autophilen!
Jedenfalls stellte ich mir vor, wie leise surrende schmale offene Gefährte mit 25 km/h durch die Straßen fuhren. Ich wartete jetzt auf den nächsten Bus und hatte noch 15 Minuten Zeit.
Natürlich braucht es für solche Gefährte Werkstätten, kleine Werkstätten mit einer Meisterin und einem Azubi. Womöglich wird die Luft besser, wenn die Leute selber strampeln oder mit der
Sonnenenergie vom eigenen Dach durch die Stadt radeln.
Die Krankenkassenbeiträge würden geringer ausfallen können, weil die Leute wegen der Bewegung gesünder wären. Die Stadt wäre auch großzügiger, schöner ohne die vielen Autos. Mehr Platz für
Kinder, Alte. Vielleicht gäbe es öffentliche Gärten mit essbaren Pflanzen. Hier konzertieren drei Senioren Blues, aus weit offenen Fenstern dringt der Geruch von Essen, in einer Ecke vorm Rathaus
agitiert ein AFD Mann auf einer Gemüsekiste aus der Türkei gegen Ausländer. Ungerührt flanieren queere Paare verbunden durch ihre Ohrringe an ihm vorbei.
Da kam der Bus - Schluss.
Ich war heiter und guter Laune und glaube auch, dass sich dieses innere Bilden auf meine direkte Umwelt auswirkte. Jedenfalls waren alle, die ich an jenem Tag noch traf, nett zu mir. Ich hatte
einen neuen Kniff entdeckt. Schööön malen!
Vor ein paar Tagen schickte mir eine Erzählerin ein Märchen, von dem sie annahm, dass es in mein Repertoire passen könnte.
Die Tochter eines Sterbenden erkennt, dass ihr Vater, ein Zimmermann, sich nicht mit dem Sterben auseinandersetzt. Sie bittet die weiße Tara, einen weiblichen Bodhisattva des tibetischen
Buddhismus, im Gebet um Hilfe. Die gibt ihr die richtigen Worte ein: Sie solle dem Vater den Besuch des roten Fürsten Amithaba ankündigen, der ihm den Auftrag für einen neuen Palast erteilen
wolle. Als der Alte das erfährt, ist er in seinem Element. Er plant und denkt, nur seine zunehmende Hinfälligkeit beunruhigt ihn. Wie soll er den Auftrag entgegennehmen? Doch seine Tochter
beruhigt ihn, bald käme der Fürst persönlich, schön sei der Fürst und seine Haut und seine Kleidung habe einen rötlichen Schimmer. „Das ist gut, ich weiß schon genau, wie der Palast werden
sollte.“ Am Morgen seines Todestages spürt die Tochter, das es soweit ist, doch der Vater hat nur den Gestaltungsauftrag für den roten Fürsten im Kopf. „Er wird heute kommen,“ kündigt sie
an.
Plötzlich am Abend leuchtet das Gesicht des Vaters auf: „Oh, er ist gekommen, Fürst Amithaba!“ und lächelnd schied er dahin.
Ich habe dann natürlich Wikipedia bemüht und fand, dass Amithaba im ostasiatischen Raum als „Buddha des Unermesslichen Lichtglanzes“ verehrt wird. Dort glauben Menschen, dass man durch Rezitieren
seines Namens in das „Reine Land“ hineingeboren werden wird.
Irgendwie ist dem Zimmermann aus dem Märchen das im richtigen Moment gelungen.
Elektrisiert hat mich aber die auf Wikipedia erwähnte Erleuchtungstechnik:
„Seine wichtigste Erleuchtungstechnik ist die Visualisierung der umgebenden Welt als reines Land.“
Ha!
„Wer seine Welt als reines Land begreift, erweckt dadurch die Erleuchtungsenergie in sich.“
Das gefällt mir,
so soll es sein,
dieser hadernde Hass in mir zerfällt und
ich räume Möglichkeiten für Veränderungen ein und indem ich mir mein Ahrensburg autofrei, menschenfreundlich, diskussionslustig vorstelle, fange ich an zu lächeln.